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Auswertung:Buch August Brecher

Vorweg

August Brecher, historisch publizistisch aktiver Priester des Bistums Aachen, legte 1992 ein Buch vor Geschichte des Aachener Friedenskreuzes vor.

Der Titel „Im Kreuz ist Heil“ griff ein Leitwort des Aachener Bischofs Joseph van der Velden auf, das er auch dem Friedenskreuz mit auf dem Weg gab.

Das Buch beschreibt naturgemäß nur die ersten vier Jahrzehnte des Kreuzes. Es stützt sich auf viele Quellen und ist fotografisch in Schwarz-Weiß illustriert.

Das Buch verliert sich teilweise in Details, an anderen Stellen ist es sehr gerafft. Im Folgenden werden Kernaussagen und manches Bemerkenswertes aufgeführt.

Wurzeln in Krefeld

Im schwer zerstörten Krefeld bildete sich 1945 eine Bewegung katholischer Männer, die auf den Trümmern der Nazi- und Kriegsjahre ein neues geistliches Leben aufbauen wollten. Mit ähnlichen Gruppen aus anderen Städten und Gemeinden schloss man sich zur Katholischen Männerbewegung im Bistum Aachen zusammen. Diese vernetzte sich wiederum mit ähnlichen Initiativen aus anderen Diözesen, so dass daraus eine bundesweite Organisation entstand.

Krefeld blieb ein Kern dieser Bewegung. Dort bildete sich eine Christliche Arbeitsgemeinschaft, die ökumenisches Leben förderte. Sie rief 1946 zu einem Ökumenischen Schweigegang auf. Tausende Menschen verschiedener Konfessionen beteten gemeinsam für Frieden und Versöhnung. Ein Zeichen des Friedenswillens, das über die Stadt hinaus wahrgenommen wurde.

Im Kreis heimgekehrter Soldaten, Priester und Laien in Krefeld formte sich die Idee einer diözesanen Friedenswallfahrt. Am Neujahrstag 1947 wurde sie konkretisiert und in wenigen Monaten realisiert, durch die Männerbewegung, unterstützt von Aachener Bischof Joseph van der Velden. Im Zentrum der geistlichen Überlegungen: ein großes Holzkreuz.

Krefelder Männer finanzierten es mit Hilfe einer Sammlung. Angefertigt wurde das wuchtige Werk vom Krefelder Schreinermeister Franz Eicks. Der Aachener Künstler Anton Wendling steuerte eine geschnitzte Abbildung des dornengekrönten Jesus bei. Die Tragekonstruktion sah vor, dass es vier Männer trugen, hinten stabilisierend gestützt von zwei weiteren Männern.

Die Bistumswallfahrt begann am Karfreitag 1947. In Respekt vor den Wurzeln der Initiative startete  der Kreuzzug des Friedens in Krefeld, in St. Dionysius. Das Friedenskreuz zog durch 39 Dekanate und 120 Pfarreien, von mehr als 200.000 Männern getragen und begleitet, quer durch zerstörte und verarmte Städte und Orte. Ca. 30.000 Menschen nahmen an der Abschlussfeier in Aachen teil am Michaelstag am 28. September. Mit dabei: Ministerpräsident Karl Arnold und der Nuntius. Das Friedenskreuz blieb nun in Aachen – in der Kathedralkirche des Bistums.

 

Deutsch-französische Versöhnung

40 französische Bischöfe brachten noch vor dem Ende des Krieges einen Gebetskreuzzug für die Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland auf den Weg. Dies war die Geburtsstunde von Pax Christi, die sich rasch zu einer internationalen Bewegung gerade unter jungen Katholiken entwickelte. Ein erster Meilenstein war eine Sternfahrt der Kreuzträger nach Vézélay 1946. Dort wurden auch deutsche Kriegsgefangene einbezogen, die ein eigenes Kreuz errichteten und trugen.

Der Initiator, Bischof Pierre Marie Théas aus der Diözese Montauban, wurde 1947 zum Bischof von Tarbes und Lourdes berufen. Er rief die erste Arbeitstagung von Pax Christi ein, zu der auch Deutsche eingeladen wurden. Bischof Théas erhielt von ihnen die Einladung des Aachener Bischofs zum Abschluss der Aachener Friedenswallfahrt. Er durfte jedoch aus politischen Gründen nicht einreisen. 1948 allerdings betrat er als erster französischer Bischof nach dem Krieg deutschen Boden, zur Gründung der deutschen Sektion von Pax Christi in Kevelaer. Das Friedenskreuz war Zeuge dieses Aktes, der im Zeichen der deutsch-französischen Versöhnung stand. Mit dem Kreuz reiste bildlich gesprochen auch Pax Christi nach Aachen – dort erhielt der deutsche Zweig seinen Sitz.

 

Bußgang der Aachener Männer

Eine lokale Traditionslinie der ersten Jahrzehnte des Aachener Friedenskreuzes ist sein Einsatz bei den jährlichen Bußgängen der Aachener Männer. Diese fand seit 1947 immer in der Nacht zum Passionssonntag statt, verbunden mit Wortgottesfeier, Predigt und Eucharistiefeier, sozialer Sorge und Friedenswunsch. In den ersten Jahren zählte man jeweils Tausende von Teilnehmer

1965 erfolgte eine ökumenische Öffnung, seitdem betete man gemeinsam nicht nur für den Frieden, sondern auch für die Vereinigung der Kirchen: ein evangelischer Geistlicher predigte im Dom, ein katholischer in der Dreifaltigkeitskirche. Die Zweiteilung der Gottesdienste dokumentierte das Trennende, der gemeinsame Zug hinter dem Friedenskreuz das Gemeinsame.

Bei allen Bemühungen des Männerwerkes und seiner Seelsorger, die Tradition am Leben zu erhalten, sanken die Teilnehmerzahlen in den Folgejahren deutlich. Das Element der Eucharistiefeier kehrte zurück. Die Resonanz blieb weiter gering. 1987 wurde ein Versuch gestartet, auf breiter Trägerbasis Frauen, Kinder und Jugendliche mit anzusprechen. Er erfüllte die Hoffnungen nicht. Seitdem gibt es nur noch in einzelnen Gemeinden Bußgänge. Bemerkenswert an diesem Versuch war vor allem eines: Erstmalig wurde das Kreuz auch von Frauen getragen.

 

Eine kurze Geschichte der Kreuz-Einsätze

Ausgehend von der großen Bistumswallfahrt 1947 fanden in den Folgejahren bis 1965 zahlreiche Kreuzzüge des Friedens statt, die später auch Kreuzwege der Versöhnung genannt wurden. Diese erstreckten sich auf Orte im deutschsprachigen Raum, aber auch in Grenzregionen und zu großen Wallfahrtsstätten, angefangen bei Rom 1950 bis zu Lourdes, zu dem durch die Genese der Pax-Christi-Bewegung eine besondere Verbindung besteht und immer wieder gepflegt wird.

Das Brecher-Buch beschreibt detailliert die zahllosen Stationen auf den Reisen des Kreuzes, hält markante Impulse fest, aus dem jeweils begleitenden Urkundenbuch oder aus anderen historischen Quellen, insbesondere Presseberichten. Deutlich wird, dass das Friedenskreuz als Symbol der Buße und Umkehr von sehr vielen Organisationen ideell wie wörtlich mitgetragen wird. Dem Ursprung als Werk von und für Männer ist es rasch entwachsen – seine Bedeutung ist universell.

Bemerkenswert: 1951 stand das Friedenskreuz  bei der Aachener Heiligtumsfahrt mehrfach im Mittelpunkt von Veranstaltungen. So war es auch bei der Heilig-Rock-Wallfahrt 1959 in Trier. Und auch der Eucharistische Weltkongress 1960 in München sowie deutsche Katholikentage in Hannover 1962 und später in Berlin 1980 sowie in Aachen 1986 nahmen den Impuls des Friedenskreuzes auf. Jenseits des Pilgerns durch Land- und Ortschaften setzte das Kreuz somit auch bei bedeutsamen kirchlichen Ereignissen eigenständige Zeichen für Frieden und Versöhnung.

Zwischen Mitte der 60-er und Mitte der 70-er Jahre wurde es ruhig um das Kreuz. Den Auftakt der neueren Aktivitäten bildete eine Romwallfahrt der Bistumsregionen Düren, Eifel und Heinsberg. Spielte das Gedenken der deutschen Verbrechen wider die Menschlichkeit immer wieder eine Rolle bei den Einsätzen des Friedenskreuzes, so reiste es 1977 an einen Ort des Menschheitsverbrechens: nach Auschwitz. Die Fahrt stellte sich in den Dienst der deutsch-polnischen Versöhnung.

 

Eine neue Generation trägt das Kreuz

Nach 1965 wandelte sich nach Brechers Einschätzung die symbolische Wirkung und Kraft des Aachener Friedenskreuzes. Das Friedenskreuz der Heimkehrergeneration – und der katholischen Männerbewegung – wurde nach dieser Lesart zum Symbol der Pax-Christi-Bewegung und der von ihr vertretenen Ziele. Zugleich spielte die Erinnerung an die Ursprünge des Kreuzes auch noch in der Zeit nach 1975 eine Rolle, um seine Botschaften für heute zu deuten. Brecher stellt diese Entwicklung auch in den Kontext der theologischen Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Der Autor verlässt in dieser Passage des Buches seine eher deskriptive Arbeitsweise und beginnt, die Entwicklung zumindest zwischen den Zeilen zu bewerten. Zunächst stellt er noch die Abrüstungsforderungen und andere gesellschaftspolitische Programmatiken von Pax Christi in einen schlüssigen Zusammenhang mit dem Konzil und später – ab 1983 – dem konziliaren ökumenischen Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.

Dann aber beklagt er eine Vereinseitigung der allgemeinen Friedensbotschaft der Gründergeneration auf konkrete Ziele hin zu zu politischen Tagesfragen der Friedenssicherung. Pax Christi habe das Aachener Friedenskreuz in den Bereich politischer Streitfragen gebracht und dabei Positionen vertreten, die auch unter katholischen Christen umstritten seien. Diese Inanspruchnahme des Kreuzes für einen radikalen Pazifismus habe die konkrete Vorbereitung weiterer Kreuzfahrten erschwert, Widerstände etwa bei örtlichen Pfarrern provoziert. Auch die damalige Bistumsleitung positionierte sich nicht eindeutig zu den Zielen von Pax Christi, wenngleich sie wünschte, dass von den Kreuzfahrten ein starkes Friedenssignal ausgehe.

Nun folgten vorrangig regionale Wallfahrten, wo das Kreuz die meist jungen Teilnehmer verband, nicht ein konkretes Ziel. Zu einer Kerntruppe von 30 bis 50 jungen Leuten stießen je nach Abschnitt und Station weitere Teilnehmer hinzu. Die Formen der flankierenden Aktivitäten waren vielfältig, in Kooperation mit örtlichen Akteuren wie Räten und ökumenischen Arbeitskreisen geplant.

Es gab Eucharistiefeiern, ökumenische Gottesdienste, Frühschichten und Nachtwachen, Gebets- und Schweigestunden, Abendveranstaltungen und geselliges Beisammensein. Das Friedenskreuz fand seinen Weg zu Tagungen, Kundgebungen, Atomkraftwerken, militärischen Anlagen, Waffenstationierungen und Bankzentralen. Häufig gab es auch Begegnung mit Menschen anderer Konfession und Religion, mit Migrationshintergrund, inklusive Asylsuchenden.

Es war der heiße Herbst 1983 der Friedensbewegung. In diesem Kontext sind die Konflikte zu verstehen, die sich um die Friedenswallfahrt von Pax Christi von Aachen nach Wassenberg entzündeten. Vielfach ist überliefert, wie versucht wurde, Brücken zu bauen zwischen dem pazifistischen Anliegen einerseits und den konkreten Menschen in Kasernen und an ähnlichen Stellen vor Ort. Manches Mal kam es nicht dazu, weil sich Pfarreien und Pfarrer nicht auf einen Dialog mit Pax Christi einließen.

Das Kreuz war allerdings dort, wo es zum Einsatz kam, ein verbindender Faktor. Die Erfahrung wurde auch bei folgenden Fahrten gemacht, 1984 von Krefeld nach Mönchengladbach und 1985 von Linnich nach Vossenack. Immer wieder gab es größere Irritationen, etwa im Kontext der Braunkohletagebaue. Beim Katholikentag 1986 in Aachen spielte das Kreuz eine tragende Rolle für die Präsenz der Diözese selbst, verbunden mit einer Dreiländerwallfahrt.

Im Zeichen einer Rückbesinnung auf die Anfänge standen Wallfahrten 1987 – zum 40-Jährigen der Friedensfahrt – und 1988 – zum 40-Jährigen von Pax Christi. Bei allem Blick zurück standen das Heute und die Zukunft im Mittelpunkt, eingebettet in den konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Zwischendurch reiste das Kreuz nach Lourdes und setzte Akzente bei Aktivitäten Dritter, der KAB bei ihrem Kreuzweg der Arbeit oder auch beim 22. Evangelischen Kirchentag 1987 in Frankfurt. Auch weitere Proteste gegen Aufrüstung und Atomkraft wurden in den Jahren 1986 bis 1988 von Pax Christi mit dem Kreuz flankiert.

Neben Einsätzen des Friedenskreuzes im Konziliaren Prozess in den Jahren 1988 und 1989 (s.u.) erwähnt Brecher noch eine Wallfahrt 1989 zum Gedenken des Kriegsausbruchs von 1939. Seine Aufstellung der chronologischen Ereignisse endet mit der Beschreibung einer Kreuzfahrt 1990 durch das Bistum Münster, welches zu einer Fastenaktion im Zeichen des Konziliaren Prozesses eingeladen hatte. Kurzes pathetisches Schlusswort und Schluss der Zeitreise.

 

Das Friedenskreuz im Konziliaren Prozess

In der Fortführung des Konziliaren Prozesses war das Aachener Friedenskreuz symbolischer Mittelpunkt bei verschiedenen ökumenischen Versammlungen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen. Aufgezählt werden ein Basistreffen in Assisi 1988, Beratungen in Magdeburg und Dresden sowie Königstein und Stuttgart in 1988 und 1989, eine Regionalveranstaltung für Westfalen in Dortmund sowie die Ökumenische Schalomveranstaltung für das Rheinland in Aachen.

Den regionalen Treffen des Jahres 1988 folgte die „Ökumenische Versammlung Europäischer Kirchen“ in Basel 1989, die von der „Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Europa“ und vom „Rat der Europäischen Bischofskonferenz“ geplant war. Schon ein halbes Jahr zuvor war die Idee einer Rhein-Sternfahrt nach Basel entstanden. Als Fahrt „gegen den Strom“ und „auf einem Schiff“ sollte sie zum Symbol des Konziliaren Prozesses werden.

Auch eine Gruppe von Pax-Christi-Mitgliedern beteiligte sich mit dem Aachener Friedenskreuz an dieser Aktion. Von Rotterdam brach man auf, ausgestattet mit Botschaften diverser Verbandsgruppen und Friedensinitiativen. In zehn Tagen reiste man stromaufwärts bis Basel, hielt an 32 Landeplätzen, wo je eine Statio mit ökumenischem Gottesdienst und anderen Veranstaltungen vorgesehen war. Allein in Köln fand es eine Großveranstaltung mit 1.000 Teilnehmern statt. In Basel selbst wurden Kreuz und Wallfahrer aus dem Bistum Aachen herzlich am Landungssteg empfangen. Nach einer Andacht zog man mit dem Friedenskreuz durch die Altstadt zum Eröffnungsgottesdienst im Münster. Von dort an begleitete das Kreuz die Versammlung.

Auswertung von Thomas Hohenschue